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Pichler, Boog:

Don Giovanni und Don Juan. In: Webportal für die Geschichte der Männlichkeiten des Instituts für Geschichte der Universität Wien,

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennergeschichte/rollen/familie_02.htm


Don Giovanni und Don Juan


Der Wandel eines Männlichkeitsmythos in Literatur und Musik

Zwei Mythen hat die Moderne geschaffen: Don Juan und Faust. Gestalten der dämmernden Renaissance, ins Formlose dringend und maßlos in ihrem Begehren. Ein spanischer Ritter und ein deutscher Gelehrter. Beide wurden sie Gestalt in den fruchtbaren Jahren unmittelbar vor der französischen Revolution. Und beide verlangen fast nach Musik. Töne binden den Affekt. Goethe sagte: "Mozart hätte den Faust komponieren müssen, die Musik müsste im Charakter des Don Juan sein." Den Helden nannte man in vielen Bearbeitungen und lange auch, wenn man von Mozarts Werk sprach "Don Juan". Doch Don Giovanni hat alle Fassungen dieses Stoffes von der Bühne gewischt. So ist, wer sich mit dem begehrenden Eroberer verwechselt, lächerlich in unserer Sprache und immer noch ein Don Juan. Das Werk, das bleibt und den Mythos verkörpert, ist der Don Giovanni. Laut Lexikon ist Don Juan eine Gestalt der europäischen Dichtung, der Frauenverführer, das Sinnbild unstillbarer sinnlicher Leidenschaft. Seine älteste Prägung kommt aus Spanien und ist Don Juan Tenorio in "El burlador de Sevilla y convidado de piedra".(1)

Neben dieser Figur bauen sich noch andere Männlichkeitsbilder auf, denn Don Juan kann erst seine volle Erotik im Gegensatz zum anderen männlichen Leben darstellen. Und so sagt Sören Kierkegaard: "So hat der König den Narren neben sich, Faust den Wagner, Don Quichotte den Sancho Pansa, Don Juan den Leporello.[...] Vielmehr ist sie eine jener urkräftigen Ideen, die mit autochthoner Ursprünglichkeit aus der Bewusstseinswelt des volklichen Lebens hervorbrechen. [...] Don Juan ist [...] die Inkarnation des Fleisches oder die Begeistung des Fleisches aus des Fleisches eigenem Geiste."(2) Dem gegenüber ist der Musikkenner und große Haydnforscher H. C. Robbins Landon der Meinung, dass aus dieser Definition der Komtur der Antipode Don Juans wäre und daher die personifizierte Geistigkeit sein müsste, was nicht zutrifft.(3) Dieser Don Juan hat seit der Entstehung des Mythos viele Bearbeitungen erfahren und drückte jeweils dem Zeitempfinden entsprechend das Männlichkeitsideal aus. So war der Burlador ein draufgängerischer, unbedachter Muskelheld, der fechtend und Frauen verführend seinem Ende zustrebte. Aber Tirso de Molinas Stück aus 1613 fand sehr bald Nachfolger.

1650 wurde der ,Il convitato di pietra' von Cigognini geschrieben und ihm folgte dann die Verarbeitung des Themas durch Molière, der sein Stück ,Dom Juan ou le festin de pierre' 1665 nannte. Hier ist er ganz auf seine brutalen Liebesabenteuer konzentriert und dem Geschmack der Zeit entsprechend ficht er zwar mit der Waffe, aber vor allem ist sein Degen geistig geschliffen und seine Rede ist die wahre Waffe. Er ist ein gebildeter, wenn auch völlig amoralischer Mann der Zeit Ludwig XIV. In diesem Stück ist der spanische Edelmann, der nur junge Mädchen verführt, Opfer der Höllenfahrt und er verschwindet gemeinsam mit dem Komtur in die sich spaltende Erde. Übrig bleibt sein Diener Sganarell,(4) der um seinen Lohn geprellt worden ist, weil sein Herr zur Hölle fuhr. Wie im Tartuffe wird das Mode-Laster, die Heuchelei, angeprangert. Don Juan ist kein leuchtender, kein naiver Sünder, sondern ein zynischer Intellektueller, den Freigeistigkeit und dialektische Kapazität zu einem arroganten, im Negativen und verkommenen Großen, zu einem im Verwegenen erstaunenswerten, zu einem abnormen Vertreter seines Standes gemacht hat. Er ist aber nicht als Individuum, sondern als Typ der Gesellschaft in Molières Zeit gezeichnet. Damals betrieb man noch keine Männerforschung. ännlichkeit war selbstverständlich und drückte sich in Stereotypen, wie Don Juan eine ist, aus. Don Juan ist nicht jenes Monster, das kurze Zeit später 1669 im Spektakeltheater von Paris, im ,Théâtre du Marais' in einer Fassung von Claude La Rose als ,le nouveau festin de pierre ou l'Athée foudroyé' erscheint. Hier ist Don Juan der Atheist und mit dieser Fassung überquert er den Kanal und wird von Thomas Shadwell zum Vorbild einer Tragödie ,The Libertine", einem Spektakelstück das in vier Auflagen erscheint und noch im 19. Jahrhundert gespielt wurde.

Es inspirierte Lord Byron zu seinem ,Don Juan'. ,Don John' und seine Freunde sehen nur die Natur als ihrer Führerin an. Religion und Sittengesetz werden verachtet. Don John will zugleich sechs Frauen heiraten, um wie ein Sultan erotisch zu prassen. Er geht neben dem steinernen Komtur gefolgt von Teufeln durch einen Blitz zugrunde. 1690 wird der Stoff in Deutschland als ,Don Juan' oder ,Don Pedros Totengastmahl' aufgeführt. Auch die Neuberin zeigte ein lehrreiches Volksstück über ihn und der Prehauser trat in Wien 1716 als ,Don Philipp' in ,Don Juan' auf. Dieses Stück Don Juan wurde immer zu Allerseelen gespielt.

Goldoni hat 1736 ,Don Giovanni Tenorio ossia il Dissoluto punito' abgefasst. Nicht die himmlischen und höllischen Mächte sind für den Untergang Don Giovannis zuständig. Der Blitz allein genügt, wie überhaupt der Held verbürgerlicht wird und die Gestalt des Herrenmenschen an Wirkung verliert. Über ganz Europa zieht nun eine Welle der verschiedensten Bearbeitungen des Don Juan-Sagenstoffes. Die Musik bemächtigt sich der Figur des Don Juan und wird vor allem in Christoph Willibald Glucks Ballett 1761 zu einem Höhepunkt geführt. Es ist eine Tanzsuite mit besonderer dramatischer Ausdruckskraft. Hier ist der Held wieder strahlend und lebensfroh, was in der Musik besonders gut durch D-Dur ausgedrückt wird. Die in D-Moll dahinjagende Höllenfahrt klingt zum Schluss in D-Dur aus.

Und dann folgt das Meisterwerk Mozarts, ,Don Giovanni', von dem Beethoven meinte, der sein Leben lang den Fauststoff musikalisch fassen wollte, er könne nicht begreifen, dass Mozart seine Kunst dem "Wüstling Don Giovanni" gewidmet habe. Aber noch andere große Dichter - ich gehe hier nicht chronologisch vor - bearbeiteten diesen Stoff. E.T.A Hoffmann, selbst Musiker, erzählt 1814 in ,Don Juan' von ihm als einem höheren Wesen, der das Göttliche in der Liebe zur Frau sucht. Keine Frau konnte seine Sehnsucht stillen, erst als er Donna Anna, einem weiteren höheren Wesen begegnet, hätte er Erlösung finden können. Aber sie und er sind verloren und verdammt. Sie erhört Don Ottavio - ihn beschreibt Hoffmann als kalt, unmännlich und ordinär - obwohl sie weiß, dass sie nur noch kurz zu leben hat. Am nächsten Tag ist die Sängerin der Donna Anna gestorben. Hier werden mit zwei Männlichkeitsideale mit allen Winkelzügen der Romantik einander gegenüber gestellt und für Jahrzehnte, wenn nicht für ein Jahrhundert, Don Ottavio zur lächerlichen Figur auf der Bühne gemacht. Don Giovanni ist strahlender Liebesheld und Don Ottavio ein "armes Würstchen".

Der russische Dichter Alexander Puschkin hat ebenfalls die Faszination des Don Giovanni erlebt und in seiner Novelle ,Der steinerne Gast' wird Don Juan nicht als kaltblütiger Verführer und Mörder dargestellt, sondern als ein Mensch, der Mozart ähnlich ist. Sein Don Juan erschrickt zu Tode, als er dem Komtur begegnet und seinem blinden Hass und seiner Rache zum Opfer fällt (ist der Komtur Salieri?).

George Bernhard Shaw schrieb gleich eine Kurzgeschichte über Don Juan, ,Don Giovanni explains' 1887, und ein Schauspiel, ,Man and superman' 1903. indem er die letzte Szene des Don Giovanni parodiert und über die Ehe spöttelt er, die er für nichts Natürliches hält. Die Hölle ist der Ort, wo diese Verlogenheit bis in Ewigkeit fortbesteht. Hier ist Don Giovanni der englische Gesellschaftsmensch mit allen Attributen. In diesem Stück ist Don Juan der Gejagte, denn der Übermensch muss durch ihn gezeugt werden. Faust und Don Giovanni werden von Christian Dietrich Grabbe - er schreibt 1829 darüber die Tragödie ,Don Juan und Faust'- als eine autobiographische Spiegelung der eigenen Psyche verfasst. Don Juan (5) und Faust fahren zur Hölle und Leporello verbrennt dabei. Don Juan ist hier ein unglücklicher Titan.

1833 verfasst Alfred de Musset eine dramatische Szene, in der dem alternden Don Juan zu begegnen ist, er ist ein müde gewordener Herzensbrecher, ein alternder Roué, den seine 3000 bestandenen Abenteuer nur noch langweilen. 1852 nach dem Tod von Nikolaus Lenau erscheint das Fragment ´Don Juan`. Die eigene Verfassung des Dichters - er wird bald danach für dauernd in der Nervenheilanstalt untergebracht- belastet den schwermütigen Don Juan, der am Ende statt der Lebenslust Ekel und Überdruss empfindet. Beim letzten Mahl erscheinen seine verlassenen Geliebten mit ihren und seinen Kindern, denen er das Testament zeigt ,in dem sie alle bedacht wurden.

Don Juan (6) als enttäuschter ,melancholischer Idealsucher. Eine russische Bearbeitung des Themas lässt Don Juan als reuigen Sünder im Kloster sterben. Auch in Spanien folgen weitere Bearbeitungen des Don Juan. Don José Zorilla y Moral lässt 1844 seinen Don Juan nach dem Wunder der Begegnung mit der reinen Schönheit in den Schoß der katholischen Kirche zurückkehren. Es ist dies ein verspätetes mittelalterliches Mysterienspiel. 1909 hat Karl Sternheim `Don Juan´ vollendet, eine historisierende Tragödie im Umfeld Philipp II und Don Juan d´Austria, der Don Juan ist. Es handelt sich um ein expressionistisches Stück. Don Juan fällt im Kampf in den Niederlanden. Im selben Jahr wird in Wien das Stück "Unterwegs" von Thaddäus Rittner aufgeführt, dessen Handlung in der Gegenwart angesiedelt ist. Don Juan ist ein Liebesabenteurer, der von Leporello aus Eifersucht erstochen wird .Hier Don Juan als Erotiker, der sich kampflos erstechen lässt dargestellt..

1935 vollendet Ödön von Horvath sein Stück "Don Juan kommt aus dem Krieg". Don Juan der Heimkehrer hat mit 35 Frauen Beziehungen, die Grundtypen darstellen. Er aber sucht die eine, die er in dem Grab auf dem Friedhof findet, dort erfriert er während es schneit und dabei ist er glücklich. Don Juan als großer Trauernder in einer Zeit der düsteren Vorzeichen.

Jean Anouilh schrieb 1955 das Stück "Ornifle ou le Courant d´air", Dieser Don Juan ist verheiratet, ein Zyniker und ist Vater eines außerehelichen Sohnes, welcher ihn töten will und dann trotzdem sein Leben rettet. Das Stück wird in Ballkostümen der Barockzeit gespielt. Ob ein Bezug zu Moliere erwünscht ist, bleibt unklar. Ornifle als Don Juan ist ein mit Worten und Menschen spielender Menschenverächter von schrankenloser Ichsucht. Sein Leporello ist eine Frau (Mademoiselle Supo). Henri de Montherlant hat 1958 einen " Don Juan" verfasst, der liebessüchtig sich alternd ans Leben klammert. Don Juan ist hier ein liebestoller, alternder Mann. "Don Juan oder die Liebe zur Geometrie" ist schon vom Titel her abweichend. Max Frisch hat 1953 damit einen nach Einheit in sich selbst strebenden Menschen auf die Bühne gestellt. Er ist aber dem Geschlechtlichen und damit den Frauen ausgeliefert. Er muss, um sein Ideal zu erreichen, seinen eigenen Untergang inszenieren, an den dann sogar Menschen glauben, die es besser wissen müssten. Dadurch ist er aber der Gefangene seiner letzten Gefährtin einer ehemaligen Dirne, die zu Geld kam. Mit ihr zeugt er ein Kind und lebt eingeschlossen als ein biederer familienvater. Sein Wunsch nach dem Kloster wird ihm nicht erfüllt. (7) Hier ist Don Juan ein Intellektueller, ein Narziss, den die Langeweile einholt und der in seiner Lebenslüge (die Geschichte von der Höllenfahrt) gefangen ist.

Natürlich hat auch die Psychoanalyse Don Juan zum Gegenstand ihrer Betrachtung gemacht. Vom Ödipus-Komplex bis zur Hysterie wurden ihm alle Leiden zugedacht. Don Juan, ein Fall für die Couch. Alles überstrahlt aber der Don Giovanni Mozarts, obwohl die Oper - das Libretto von Lorenzo da Ponte ist zwar genial, aber ohne Musik verlöre es seinen Reiz - mit Mord beginnt und mit Tod endend, ist sie ein Quell des Lebens - mitleidend mit den Verführten und Verachteten, müssen wir Don Giovanni dennoch lieben. "Was immer mit seiner Seele geschehen sein mag - dieser wundervolle Schmetterling zieht seine strahlende Spur von Freude wie von Trauer nach sich [...] er, der wie ein Held die Sonne war [...] muss noch irgendwie weiter leuchten und ihre Strahlen auf die Züge seiner Opfer werfen."(8)

Aber die Inszenierungen deuteten das Werk sehr verschieden. Von den 51 Aufführungen, die ich selbst erlebte, ist mir aus der unmittelbaren Nachkriegszeit Paul Schöffler, dessen Don Juan ein Herr war, in Erinnerung. Die Erotik war bei George London nahezu spürbar. Cesare Siepi verkörperte den kühlen, schönen Eroberer. Eberhard Wächter war ein sportlicher Don Juan, der mit seinem weichen Bariton bezauberte. Jetzt, 2002, hat Thomas Hampson bei den Salzburger Festspielen den gebrochenen, in Todessehnsucht gefangenen Don Juan verkörpert. Aus dem Textheft vom 27.7.2002 der Salzburger Festspiele " [...] Verführung ist ein Teil einer Kultur der Grausamkeit [...] unausweichliche Konsequenz: Der Tod bleibt der Spieleinsatz (eines jeden symbolischen Paktes) der Herausforderung, des Geheimnisses, der Verführung oder der Perversion."(9) Die Arten, den negativen Helden den Tod oder die Höllenfahrt erleben zu lassen, sind mannigfaltig. Die interessanteste Lösung fand ich war zum Höhepunkt der österreichischen Feminismusbewegung in der Kammeroper zu sehen, die drei Frauen Donna Anna, Elvira und Zerline erstachen den, der sie entehrt hatte und den sie wahrscheinlich noch liebten. 2002 in Salzburg tötet ihn sein Diener Leporello. Weder auf Honoré de Balzac noch Prosper Merimée und ihre Don Juan-Motiv-Bearbeitungen konnte ich eingehen; nur eines sei gesagt: Es gibt einen abgewandelten, weiblichen Don Juan, das ist Carmen. Don Juan wird jeweils das Gesicht der Zeit, die ihn erlebt, tragen. Der innerste Gehalt des Don Juan-Motivs ist die Verkörperung der sieghaften, skrupellosen Männlichkeit, die sich selbst zerstört.

Literatur & Anmerkungen:
(1)Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden (Mannheim 198819) 608 - 609.

Friedrich Dieckmann, Die Geschichte Don Giovannis. Werdegang eines
erotischen Anarchisten (Frankfurt am Main / Leipzig 1991).

Pierre-Jean Jouve, Mozarts Don Giovanni (Salzburg/Wien 1990) 137 - 138.

(2)Sören Kierkegaard, Die unmittelbaren erotischen Stadien oder Das Musikalisch-Erotische (Frankfurt a. Main 1989) 290 - 291.Nikolaus Lenau, Ausgewählte Werke Band 2,(Wien, Teschen, Leipzig o.J.) 191, Don Juans
letzte Worte sind: "Doch dies langweit, wie das ganze Leben."

(3)H.C. Robbins Landon, Das Mozart Kompendium. Sein Leben - Seine Musik (München 1991) 464.

Mozart's Don Giovanni in Prag, ed. Jan Kristek (Prag 1987).

(4)Theater der Jahrhunderte (München-Wien 1967), Moliere "Don Juan oder der steinerne Gast" 182.

(5) Christian Dietrich Grabbe´ "Don Juan und Faust"329, Don Juan ruft
bevor er zur Hölle fährt :"König und Ruhm, und Vaterland und Liebe!"

(7)Max Frisch "Don Juan oder die Liebe zur Geometrie" 418. Don Juan sagt:"[...] eine Klause im Männerkloster [...] mit Aussicht auf die andalusischen Berge [...] lebe
ich mit Brot und Wein [...] vom Weibe verschont, still und zufrieden mit
meiner Geometrie."

(9) Programmheft Salzburger Festspiele 2002, Jean Baudrillard S. 34.