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Zitieren sie diesen Text bitte folgendermaßen:

Wildhaber, Marko:

Männlichkeit bei Alexandre Dumas. In: Webportal für die Geschichte der Männlichkeiten des Instituts für Geschichte der Universität Wien,

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennergeschichte/rollen/held_01.htm


 

Männlichkeit bei Alexandre Dumas

 

Stellen Sie sich folgendes vor: Vier Personen, lange Haare, dem unmäßigen Alkoholgenuss zugetan, Frauen ausnutzend, immer in gewalttätige Auseinandersetzungen, mit manchmal sogar tödlichem Ausgang, verwickelt und notorische Glücksspieler. Das waren die Vorbilder meiner Kindheit. Die Drei Musketiere und - d'Artagnan.

Es stellt sich die Frage, ob Alexandre Dumas einfach nur Figuren entwarf, die er für seine Romane benötigte, oder ob er dabei einem bestimmten Vorstellung, wie Männer des 16. Jahrhunderts zu sein hatten, folgte. Die Wahrheit wird wohl dazwischen liegen; sicher sind auch Auffassungen und Ideale seiner Zeit miteingeflossen. Er lebte in der Zeit des Aufstiegs und des Falls des französischen Kaiserreiches, geprägt von Krieg und Helden (wider Willen). Natürlich darf nicht vergessen werden, dass seine Protagonisten in seinen Roman passen müssen; vielfach sind sie überzeichnet, nicht zuletzt um den Leser zum Lachen zu bringen. Sehen wir uns seine "Helden" einmal etwas genauer an - was sagen sie uns über Männlichkeit?

D'Artagnan, der Mann mit dem der Roman beginnt, bietet uns schon erste Einblicke. D'Artagnan ist ein Mann von Ehre, eine Ehre die sich erstens aus der fünfhundertjährigen Geschichte seiner Familie herleitet und zweitens von Ruhm und Mut. Was unter Ruhm und Mut verstanden wird, äußert sich in den Worten d'Artagnans Vater:"...schlage dich bei jeder Veranlassung, schlage dich umso eher, als Zweikämpfe verboten sind, und weil es deshalb eines doppelten Mutes bedarf, sich zu schlagen." Bösartig zusammengefasst kommt es also auf Missachtung der Gesetze und Gewalttätigkeit an.
Zu Männlichkeit zählt auch die Beherrschung. So verbietet sich der Vater Zärtlichkeiten oder gar Tränen, denn er "...hätte es als eine Mannes unwürdig erachtet, sich seiner Rührung hinzugeben..." Immerhin ist er gerührt. Etwas schwer tut sich der junge d'Artagnan mit dieser Vorgabe, er kann seine Tränen nicht zurückhalten, gleichwohl er das heimlich tut. Wir erfahren also, dass Rührung und Betroffenheit zu Männlichkeit gehört, aber öffentlich gezeigt werden darf sie nicht. Viel hat sich in diesem Punkt bis heute offensichtlich nicht geändert.


Kommen wir zu dem väterlichen Rat zurück, sich jederzeit zu schlagen. Als guter Sohn und Mann nimmt sich d'Artagnan diese Belehrung zu Herzen, er hat bereits am ersten Tag in der französischen Hauptstadt Einladungen zu drei Duellen. Interessant hier sind die Gründe, die zu den Zweikämpfen führen. Die ersten beiden Duelle, mit Athos und Porthos, entstehen durch Beleidigungen (Diese Situationen erinnern mich an meine Jugend auf dem Land - genauso sind die "Wirtshausraufereien" entstanden; nur Alkohol war hier noch mehr im Spiel). Beleidigungen müssen also durch einen Waffengang bereinigt werden. Interessanter noch ist die dritte Duell-Einladung von Aramis. D'Artagnan bringt durch Zufall die Liebschaft Aramis mit einer gesellschaftlich hochstehenden Dame ans Tageslicht. Es geht hier weniger darum, den Mann bloßzustellen, als vielmehr die Ehre einer Frau anzutasten. Denn dass Liebesverhältnisse existieren, ist allgemein bekannt und akzeptiert, nur die Frau darf öffentlich nicht damit belastet werden. Wie dem auch sei, ein Duell kann die Sache wieder aus der Welt schaffen, oder um es mit den Worten Aramis auszudrücken: "Ich will Euch wohl töten, seid ganz ruhig...".

Tapferkeit ist ebenso ein Thema, mit dem sich die Protagonisten gerne beschäftigen. Athos bringt klar zum Ausdruck, welche Vorbilder bezüglich Tapferkeit hat: "..die Tapferen zur Zeit Karls des Großen, nach denen jeder Kavalier sich zu bilden suchen muss." Dumas lobt eigentlich die Tapferkeit der Zeit, in der sein Roman statt findet; seine Romanfiguren aber die Zeit Karls des Großen; auch ihm war offenbar bewusst, dass die Menschheit und die Männer im Besonderen gerne die Vergangenheit verklären und zum Vorbild stilisieren, die eigene Zeit aber gering schätzen.

Wer ein Edelmann sein will, braucht einen Diener. Entscheidend ist hier, dass der Diener zum Herren passt. D'Artagnan benötigt also einen Mann, der intelligent ist. Erfüllt wird diese Voraussetzung durch Planchet. In einer Zeit, da genormte Intelligenztests noch nicht an der Tagesordnung waren, behilft sich der Suchende anderer Hilfsmittel: Etwa der Beobachtung. Planchet wird beobachtet, während er ins Wasser spuckt, um Kreise zu bilden, laut Porthos ein "Beweis eines sorgfältig überlegenden Geistes". Durch den genannten Planchet ergeben sich auch Hinweise auf das Verhalten gegenüber Frauen: Beiden muss Liebe, Furcht und Achtung eingeflößt werden. Das funktioniert entweder durch eine vornehme Stellung in der Gesellschaft oder durch - nun - lassen wir die drei Musketiere sprechen: "Es verhält sich mit den Dienern wie mit den Frauen, man muss sie sofort auf die Stufe stellen, auf der man sie haben will. Überlegt also!" d'Artagnan überlegt und beschließt, Planchet vorläufig braun und blau zu prügeln. Überdies verbietet er ihm, ihn, seinen Herren, zu verlassen.

Mit diesen ersten Erkenntnissen ist es an der Zeit, das Vorbild der Kindheit in einer ersten Zusammenfassung zu analysieren: D'Artagnan ist gewalttätig, riskiert gerne sein Leben, missachtet die Gesetze und darf keine Gefühlsregungen zeigen. Er hat eine Toleranzschwelle von Null, schlägt seine Mitarbeiter und würde auch seine Frau schlagen, so er eine hätte. Gut. Das hatte ich doch anders in Erinnerung. Wo sind die feigen Schergen des Kardinals, die entzückende Constance, die Treue zu König und Vaterland? Vielleicht wenn man weiter sucht...?

Um es kurz zu machen: Die Liebe d'Artagnans ist kein Plus-Punkt für ihn, denn die Gute ist verheiratet. Und nicht nur, dass der lüsterne Gascogner einer, sich im Stand der Ehe befindlichen, Frau nachstellt, nein, er verrät dazu auch noch ihren Gatten, der ihn, d'Artagnan, um Hilfe ersucht hat. Er räumt also quasi seinen Nebenbuhler aus dem Weg um das Subjekt seine Begierden leichter erreichen zu können. Zu allem Überfluss ist er auch noch von Eifersucht zerfressen und will jeden Mann töten, der sich "seiner" Constance nährt. Pfui! Diese ganzen seltsamen Einstellungen zu Frauen gipfeln in der Ansicht Aramis,: "...Das Weib ist zu unserem Verderben geboren, und vom ihm rührt all unser Unglück her." und den Vorstellungen des Monsieur de Treville, Hauptmann der Musketiere: "...eine Frau verkauft euch für zehn Pistolen" ... und "...das Weib hat uns insgesamt ins Verderben gestürzt und wird uns verderben, solange wir bestehen".
Immerhin, zu dem Angetrauten der Geliebten hat sich ein Mann von Welt höflich zu benehmen: "Wie sollte man übrigens nicht ein wenig Höflichkeit einem Manne erweisen, dessen Frau einem für den selben Abend ein Stelldichein ... gegeben hat!". Alles hat unter dem Mantel des guten Benehmens zu geschehen - das gilt für Ehebruch genauso wie für Verabredungen, deren Zweck das gegenseitige Aufschlitzen mittels Degen ist. Immer lächeln. Immer Contenance bewahren.

Dazu kommt, dass die Musketiere sich gerne von ihren Geliebten aushalten lassen mehr oder weniger als männliche Kurtisanen. "In jenen Zeiten leichter Moral schämten sich junge Kavaliere nicht, sich von ihren Geliebten kostbare und dauerhafte Erinnerungen schenken zu lassen." schreibt Dumas. Noch intensiver betreibt Porthos dieses Spiel: Er verschwindet für einige Tage, beglückt eine verheiratet Frau und kehrt bleich und erschöpft, aber die Taschen voller Geld, zurück. Um sie anzustacheln, zählt er auf, was für Verzichte er für sie leisten musste: "Ich, der ich für Euch die Comtesse de Penaflor opferte! ... Die Baronesse de..., die Comtesse de...". Dumas Sohn Alexandre Dumas der Jüngere mit "Die Kameliendame" und sein Zeitgenosse Emile Zola mit "Nana" beschreiben genau die umgekehrte Situation, jedoch will bei den Musketieren keiner über das Geld reden: "...sprechen wir noch von Geld, wenn es Euch beliebt, denn das ist demütigend."

Anders die Einstellung zu Frauen des Herzog von Buckingham: "Tapfer, kühn, unternehmend, wagte er bei ... Liebeshändeln nicht zum ersten Mal sein Leben." Es muss allerdings erwähnt werden, dass er steinreich ist und daher finanzielle Zuwendungen nicht benötigt. Eher umgekehrt, er ist bereit für seine Liebe zu Anna, der Königin von Frankreich (schon wieder eine verheiratete Frau!), einiges zu zahlen. Einen ganzen Krieg will er für seine Lust anzetteln: "Tausende von Menschen müssen allerdings mein Glück mit ihrem Leben bezahlen, aber was liegt mir daran, wenn ich Euch nur sehe! ... Sagt mir, welche Frau hat einen liebevolleren Liebhaber...?" Auch wenn hier der Eindruck entsteht, dass sowohl von der griechischen Mythologie die Sage um Helena abgekupfert wurde, bleibt doch der Nachgeschmack, dass Männer im 17. Jahrhundert durchaus bereit waren, aus persönlichen Gründen ganze Kriege zu führen - eine Vorstellung die zu - dem sich zu der Zeit durchsetzenden - Absolutismus passt.

Gegenstück zu dieser Ansammlung von heldenhaften Männern bildet Monsieur Bonacieux, Gatte der Constance. Wehklagen - "...da stieß er ein so erbarmungswürdiges Hammergeschrei aus.." -, bitterliches Weinen und sogar Ohnmacht machen ihn so richtig unmännlich und verachtenswert. Dabei widerfährt ihm ja kaum etwas: Seine Frau wird entführt, er wird verhaftet und des Hochverrats beschuldigt, ohne Erklärung führt man ihn zu bekannten Hinrichtungsstätten in Paris...kein Grund sich wie ein Mädchen zu benehmen, oder?

Damit ist es an der Zeit, das Kapitel "d'Artagnan, mein Vorbild" endgültig abzuschließen und sich jemand anderen zu suchen. Eventuell könnte Robin Hood...? Nun, lassen wir das.

Natürlich kommen in dem Roman zahlreiche andere Männer vor, beispielsweise der Comte de Rochfort, oder Kardinal Richelieu; die oben angerissenen Eindrücke mögen jedoch fürs erst reichen. Dumas konzentriert sich in erster Linie auf bestimmte gesellschaftliche Schichten des niederen und mittleren Adels. Wird hier also vom Mann des 17. Jahrhunderts gesprochen, gilt das für diese Stände. Andere Männer werden nicht im Detail beschrieben, oder wie Monsieur Bonacieux als sichtliches Gegenstück zu Männlichkeit verwendet.

Also - der Mann dieses 17 Jahrhunderts ist in erster Linie einmal tapfer. Er fürchtet weder Tod noch Teufel und bewahrt auch angesichts größter Gefahren die Ruhe. Er achtet nicht die Gesetze und Verordnungen des Königs, gibt für diesen oder andere fürstliche Personen, unabhängig ob Frau oder Mann, sein Leben.
Um sein ausschweifendes Leben, geprägt von Duellen, Saufgelagen, Kriegen und Glücksspiel, finanzieren zu können, bedient er sich entweder seines, aus der Familie mitgebrachten, Vermögens, verlässt sich auf Glücksfälle oder lässt sich von einer Frau aushalten.
Gefühle öffentlich auszuleben ist unmännlich, wenn überhaupt darf er in Situationen größter Not ein Gebet verrichten. Weinen und Jammern bleibt Frauen überlassen, Männer mit solchem Verhalten sind verachtenswert.
Der Rat des Vaters ist zu befolgen, sonst erfährt der Leser leider wenig über Familie und Familienbeziehungen.
Aber es gibt auch tiefe Männerfreundschaften, Vergebung und Versöhnung, ferner viel Heiterkeit und glühende Liebe; durchaus positive Eigenschaften und Verhaltensweisen - es soll hier nicht der Eindruck entstehen, "Die Drei Musketiere" wäre ein durch und durch böser, verdorbener, hasserfüllter und unmenschlicher Roman.

Zeichnet jemand das Männlichkeitsbild des 17. Jahrhunderts nach Dumas, so wird dieses wohl sehr verdreht sein; "Die Drei Musketiere" war und ist "nur" ein Roman. Zwischen den Zeilen kann jedoch einiges herausgelesen werden - beginnend bei der Vorstellung der "guten alten Zeit" bis hin zur Abbildung der Zeit Dumas.

Auf jeden Fall bleibt abschließend eines zu sagen: Diesen Roman sollte jede Frau und jeder Mann gelesen haben; kaum eine Verfilmung kann ihm gerecht werden. Um es auf den Punkt zu bringen, er ist einfach lustig...