WEBPORTAL: MÄNNLICHKEITEN
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Zitieren sie diesen Text bitte folgendermaßen:

Sycha, Roswitha:

Essay; Der "neue" Mann - Männer im Wandel. In: Webportal für die Geschichte der Männlichkeiten des Instituts für Geschichte der Universität Wien,

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennergeschichte/rollen/familie_02.htm


Der „neue“ Mann – Männer im Wandel


Ein beliebtes und gern verwendetes Schlagwort in der Medienbranche. Gibt es wirklich eine soziale Kategorie „neuer Mann“? Was ist eigentlich „neu“ an ihm? In welchen sozialen Schichten ist er anzutreffen? Wie steht Frau zu ihm? Oder hält uns dieses Schlagwort einfach vor Augen, dass sich Mann bewegt? Diese und viele weitere Fragen sollten wir uns stellen und untersuchen um den Begriff des „neuen“ Mannes näher beschreiben zu können.

Historischer Rückblick

Wenn wir uns mit dem Schlagwort „neuer Mann“ beschäftigen, müssen wir uns auch ein bisschen mit der Geschichte der Männlichkeit befassen. Denn gerade die geschichtliche Entwicklung prägte unser Bild vom Mann und von der Frau ( welche wir in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen dürfen). Das Bild des Mannes ist nicht unveränderlich, noch nicht einmal einheitlich. In der Regel gibt es mehrere „Männlichkeiten“, die untereinander in einem hierarchischen Verhältnis stehen und um Hegemonie streiten. Das, was heute unter „Männlichkeit“ verstanden wird, ist historisch recht jung, und in seiner Entstehungsgeschichte eng verknüpft mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft. Männlichkeit(en) können aber auch nicht ohne Weiblichkeit(en) gedacht werden, die verstärkt als das Gegenstück zu Männlichkeit konstruiert wird. Interessanterweise wurden bis etwa zur ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts Mann und Frau gerade in biologischer Hinsicht als ähnlich gesehen, wobei „Mann“ die Norm und „Frau“ die Abweichung von der Norm darstellte. Erst mit dem Entstehen einer weiblichen „Sonderanthropologie“ kam es zu einem Diskurs über die geschlechtliche Natur des Mannes und der Frau. Ein Konzept qualitativer und gegensätzlicher Charaktere entstand. Diese Konstruktion von Gegensätzen wirkte sich auch maßgebend auf die Arbeits- und Machtteilung aus. So kam es zu einem Ausschluss der Frauen aus dem öffentlichen Bereich und deren Einschluss in die häusliche Sphäre. Es folgte eine allmähliche Trennung von Erwerbsarbeit und Familien – bzw. Hausarbeit. Die „Natur“ diente also als Rechtfertigungsgrundlage für die bürgerliche Gesellschaftsordnung und bis heute ist diese Argumentationslinie oftmals Grundlage der Geschlechterdiskurse.

Was versteht man nun unter „Männlichkeit“?

Diese Frage ist sicher nicht einfach und eindeutig zu beantworten. Robert Connell versteht darunter „ eine Position im Geschlechterverhältnis; die Praktiken, durch die Männer und Frauen diese Position einnehmen, und die Auswirkungen dieser Praktiken auf die körperliche Erfahrung, auf Persönlichkeit und Kultur.“ Es gibt keine universell gleiche Männlichkeit und sie ist nicht natürlich vorgegeben. Männlichkeit in unserer Gesellschaft wird meist als die überlegenere Position gesehen und oft noch verstanden als Ausübung von Macht und Kontrolle, Stärke, Disziplin, Logik, Rationalität, Härte, Erfolg, Ehrgeiz und Besitz. Weiblichkeit wird assoziiert mit Schwäche, Unterwerfung, Unsicherheit, Gefühl, Intuition, Nachgiebigkeit, Häuslichkeit, Rücksicht und Liebe. Gelten diese aufgestellten Zuschreibungen noch? Oder kam Bewegung in die Rollenbilder? Nach dem zweiten Weltkrieg begann schön langsam das Aufbrechen von hegemonialen Männlichkeitsstrukturen und um 1970 kam es zur Auflösung des hegemonialen Männlichkeitskonzepts, welches immerhin die Gesellschaft ungefähr hundertfünfzig Jahre prägte. Neue Männlichkeitstypen entstanden wie zum Beispiel der „Softy“, der „Typ des neuen Vaters“ (der wieder zu Hause anwesende Vater) oder der „Typ des Partners“. Wurden diese „neuen Typen“ auch von den Männern angenommen? Oder stellten sie nur Idealbilder dar über die man diskutierte, deren Durchsetzung aber nicht so einfach möglich war? Dieser Diskurs war sicher ein wichtiger Schritt, weil doch etwas Bewegung in die Welt der Männer kam. Männer hatten nun auch die Möglichkeit aus dem vorgegebenen Männlichkeitsideal auszubrechen und eine andere Position einzunehmen. Das war sicher sehr schwierig und es gab nur wenige, die den Mut und die Kraft dazu hatten. Die öffentliche Diskussion war wichtig, denn immer mehr Männer und Frauen begannen über sich und ihre Rolle in der Gesellschaft nach zu denken und dies nicht mehr allein zu Hause bei verschlossenen Türen.
Eine Explosion der Diskurse über Männlichkeit setzte nach 1990 ein. Das öffentliche Interesse stieg immens und viele Medien( Zeitungen, TV, Fachzeitschriften, etc. ) griffen das Thema: Männlichkeit – Weiblichkeit auf. Zugleich kamen aber auch neue Schlagworte wie Orientierungslosigkeit oder Rollenidentifikationskrise ins Gespräch.

Wo stehen wir Heute? Gibt es einen „neuen Mann“?

Unsere Gesellschaft befindet sich in einem Entwicklungsprozess, der sicher noch nicht abgeschlossen ist. 1998 wurde eine empirische Studie „Männer im Aufbruch“ unter 1200 Männern und 800 Frauen in Deutschland durchgeführt. Die Resultate dieser Untersuchung geben, meiner Meinung nach, einen kleinen Einblick, wie Mann sich sieht. Vielleicht kann man dieser Studie mangelnde Aktualität vorwerfen, aber sie zeigt Tendenzen, welche auch noch heute gelten. Zwanzig Prozent der befragten Männer konnten der Kategorie „neuen Männer“ zugeordnet werden. Der Tendenz nach befinden sie sich in den Altersklassen der 30- bis 50-Jährigen und sind eher Freiberuflichen, Angestellte und Berufslosen (Studenten, Arbeitslose) zuzurechnen. Sie gaben eine deutliche Bereitschaft zu einer Veränderung des Rollenverhältnisses zum Ausdruck. Sie denken über sich selbst nach, bekennen sich zum Wandel ihres Selbst-Verständnisses und sind bestrebt, ein offeneres Verhältnis zu anderen Männern zu entwickeln. Sie lassen emotionale und soziale Kompetenz erkennen, haben mehr Fühlung zu ihrer Innenwelt und sind sexuell freier und zufriedener. Die neuen Männer sehen im Erziehungsurlaub eine Bereicherung und beteiligen sich aktiver an der Erziehung. Die Emanzipation der Frauen ist ihnen ein Anliegen und sie unterstützen ihre Partnerinnen darin. Den Beruf halten sie nicht mehr für so wichtig im Männerleben, aber trotz allem bleibt die Erwerbsarbeit für das männliche Selbstwertgefühl zentral (nach eigener Einschätzung der Befragten). Sie versichern ihre Bereitschaft für eine gerechte Verteilung von Haus- und Erwerbsarbeit und bekunden ihre Offenheit für einen Wandel der traditionellen innerfamiliären Arbeitsteilung. Doch aller Bereitschaft zum Trotz: Die Realität spricht oft eine andere Sprache, wie die Aussagen der im Rahmen der Untersuchung befragten weiblichen Kontrollgruppe verdeutlichen. Die Männerselbstsicht und die Männermeinung mit den Augen der Frauen differieren teilweise beträchtlich. Nach Einschätzung der Frauen haben auch die neuen Männer Schwierigkeiten, alte Regeln und Werte des Mann- Seins über Bord zu werfen. Das betrifft vor allem die Rolle des Mannes im Familienalltag. So bleibt das häusliche Engagement der neuen Männer des öfteren hinter den Erwartungen der Frauen zurück und reduziert sich gewöhnlich auf die „sauberen Aktivitäten“ (Sport und Spiel mit den Kindern) oder bleibt auf rein „männliche Arbeitsbereiche“ (Reparaturen, Autopflege, etc.) begrenzt. Die eher „schmutzigen Arbeiten“ ( Wohnung putzen, Wäsche waschen und bügeln, etc.) werden weitgehend ignoriert. Fazit: das Selbstbild der „neuen“ Männer deckt sich nicht ganz mit dem Bild der „neuen Männer“ aus der Sicht der Frauen.
Diese Untersuchung zeigt, dass es immer zwei Seiten gibt, die beachtet werden müssen, wenn man sich mit dem Thema der „neue Mann“ beschäftigt. Weiters wird aufgezeigt, dass subjektives Empfinden oder gedankliche Bereitschaft (für Änderungen) und alltägliches Leben zwei verschiedene Ebenen sind. Unsere Gesellschaft befindet sich in einem Umdenkprozess, der mit einem Lernprozess verknüpft ist. Der Großteil der Bevölkerung wurde noch traditionell nach alten Vorbildern erzogen. Es ist daher nicht leicht alles über Bord zu werfen (bildlich gesprochen), eine neue Identität anzunehmen und diese vor allem auch wirklich zu leben. Wir leben nicht auf einer einsamen Insel, wo dies möglich wäre, sondern wir sind in einem Gesellschaftssystem eingebunden, aus dem wir uns nicht so einfach loslösen können. Es ist ein Entwicklungsprozess, der uns vielleicht zum Ziel führt. Positiv ist, dass Männer offener bezüglich verschiedenster Fragen zum Beispiel zu sich selbst, zu anderen Männern, Familie und Erziehung, Frau und Beruf , Arbeitsteilung, etc. sind und werden. Das ist, meiner Meinung nach, schon ein großer Fortschritt, weil dieses Verhalten immer mehr Männer zeigen. Natürlich ist die Gefahr der Orientierungslosigkeit und Verunsicherung stärker gegeben. Zwei Fünftel der befragten Männer (laut oben genannter Studie) entsprechen dem Typ „ängstlich - unsicheren Mann“, der sich alles andere als wohl in seiner Haut fühlt. Der auf der Suche nach einer neuen Identität sowohl traditionelle als auch aus der gleichberechtigten Rollenverteilung der Geschlechter einige Aspekte akzeptiert. Die Frage „Wann ist ein Mann ein Mann?“ ist für ihn offen.
Der Bereich Erwerbsarbeit – Identifikation spielt in dem stattfindenden Entwicklungsprozess, für mich, eine wichtige Rolle. Die Trennung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit, im Laufe des 19. Jahrhunderts, prägt auch noch heute unsere Gesellschaft entscheidend. Viele Männer identifizieren sich mit dem Lebensbereich Erwerbsarbeit und reduzieren ihre Identität rein auf den Beruf. Erwerbsarbeit hat einen enormen gesellschaftlichen Stellenwert, daher ist es schwierig Distanz zu gewinnen und die eindimensionale Fixierung und Ausrichtung neu zu überdenken. Betriebliche Vorgaben und Erwartungen fördern diese Verhaltensweise. Viele Männer stehen in ihrem Unternehmen unter Druck und sind länger anwesend als notwendig, weil es von ihnen erwartet wird. Sie leben in gesundheitlicher Hinsicht über ihre Verhältnisse, weil es gilt mitzuhalten und sich ständig dynamisch zu präsentieren. Dabei wäre es sehr wichtig und fördernd für den gesellschaftlichen Entwicklungsprozess, wenn mehr Männer beginnen würden ihre Lebensziele (Erfolg, Karriere, Macht und Einfluss) zu überdenken und loszulassen. Es ist für viele Männer nicht leicht, die Vielfalt ihrer eigenen Lebensmöglichkeiten wahrzunehmen. Dieses Verhalten oder besser gesagt die Identifizierung nur im Beruf bringt wiederum Probleme in der Familienarbeit mit sich. Durch das enorme Engagement in ihrem Beruf kommen viele Männer erschöpft und ausgelaugt nach Hause. Ihnen fehlt oftmals die Kraft, helfend in die alltäglichen Abläufe der Familie einzugreifen. Die Bereitschaft zur Arbeitsteilung im Haushaltsbereich möge ja prinzipiell vorhanden sein, nur die Umsetzung ist wieder eine andere Sache. So wird lieber, weil es bequemer ist, bei den alten tradierten Rollen festgehalten (oft mit stillschweigender Übereinkunft auf beiden Seiten).

In den vorangegangenen Zeilen habe ich versucht deutlich zu machen, dass unsere Gesellschaft in einem Entwicklungs- und Umdenkprozess steht, dass sich einfach etwas bewegt. Männer beginnen mehr über sich und ihre tradierten Rollen nachzudenken. Sie sind offener zu sich und gegenüber anderen und sie müssen lernen, dass es verschiedenste Lebensziele und Lebensmöglichkeiten gibt. Ich habe auch versucht zu zeigen, dass es nicht sehr leicht ist, das alte Rollenbild abzulegen, weil dafür die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen ( Abkommen vom weitverbreiteten männlichen Alleinverdienermodell, flexiblere und Verringerung der Arbeitszeiten, etc. ) nicht wirklich gegeben sind. Den wirklich „neuen“ Mann gibt es meiner Meinung nach noch nicht. Die Entwicklung ist im Gange. Was gesellschaftlich akzeptiert wird, das Spektrum von Männlichkeit und auch von Weiblichkeit, ist breiter geworden.