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Zitieren sie diesen Text bitte folgendermaßen:

Luef, Evelyne:

Rezension von Rebekka Habermas: Frauen und Männer des Bürgertums. In: Webportal für die Geschichte der Männlichkeiten des Instituts für Geschichte der Universität Wien,

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennergeschichte/rezensionen/habermas_01.htm


 

Rebekka Habermas

Frauen und Männer des Bürgertums

 

Mit ihrem Buch "Frauen und Männer des Bürgertums" ermöglicht Rebekka Habermas einen Einblick in die Alltags- und Mentalitätsgeschichte des Bürgertums um 1800. Bei dem hier vorliegenden Werk handelt es sich um eine gekürzte Ausgabe ihrer 1997 entstandenen Habilitationsschrift. Ihre Arbeit basiert auf einer großen Zahl von Ego- Dokumenten wie z.B. Briefe, Tagebücher, Testamente, autobiographische Fragmente und Stammbücher, aus dem Nürnberger Stadtarchiv. Diese Dokumente stammen aus dem Nachlaß zweier miteinander verschwägerter Bürgerfamilien. Dabei handelt es sich um die Familie Merkel aus Nürnberg, Kaufleute mit erheblichem politischen Einfluß, und die Familie Roth aus Stuttgart, eine Familie von Beamten, Pfarrern und Lehrern, die dem deutschen Bildungsbürgertum angehört. Habermas untersucht diese beiden Familien für den Zeitraum von circa 1750 bis 1850. Dabei ist nicht nur die Analyse einer Familie über zwei Generationen hinweg interessant, sondern auch die Vernetzung zweier verschiedener Bürgertümer, dem Bildungsbürgertum und dem Wirtschaftsbürgertum. Die Autorin konzentriert sich in ihrer Untersuchung auf drei zentrale Bereiche des bürgerlichen Alltagslebens, nämlich Arbeit, die verschiedenen Formen der Geselligkeit und das Zusammenleben in der Familie. Rebekka Habermas versucht dabei, dem Titel ihres Werkes entsprechend, jeweils Frauen und Männer gleichgewichtig und aufeinander bezogen zu behandeln. Dadurch will sie Unterschiede zwischen theoretischen Normen und Werten der bürgerlichen Lebensführung und der praktischen Umsetzung, dem täglichen Handeln aufzeigen. Ihr Ziel ist es zu zeigen, daß das Bürgertum durchaus nicht so homogen war wie häufig angenommen, sondern vielfältige bürgerliche Lebensformen möglich waren. Weiters versucht sie verschiedene, bisher vorherrschende Thesen wie z.B. die Vorstellung, daß das eheliche Verhältnis einer Beziehung zwischen Oberhaupt und Untertan glich, oder die Trennung der weiblichen und männlichen Räume zu widerlegen. All diese Vorstellungen deklariert Habermas als revisionsbedürftig.
Im ersten Kapitel beschäftigt sich Habermas mit den Tätigkeitsbereichen und Arbeitseinstellungen der Frauen und Männer beider Generationen. Die Ausführungen darüber sind jedoch keine abstrakten Erklärungen sondern detaillierte Angaben zu konkreten Arbeitsprozessen. Die Autorin informiert bis ins Detail über Haushaltsführung, Gemüseanbau und vieles mehr. Sie kann zeigen, daß in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Auseinanderentwicklung von weiblicher und männlicher Arbeitswelt keineswegs so dramatisch verlief wie bisher angenommen. So zeigt Habermas zum Beispiel, daß die Hausarbeit in dem untersuchten Zeitraum beide Generationen von Frauen in etwa gleich belastete, also beinahe gleich blieb, die Einstellung zu dieser Arbeit sich allerdings veränderte.
Im zweiten Teil wendet sich die Autorin gegen die scharfe Differenzierung in eine öffentlich- männliche und eine privat- weibliche Gesellschaftssphäre. Sie vertritt die Ansicht, daß die Geselligkeitsformen wesentlich vielschichtiger waren als bisher angenommen. So wenden die Merkels für die sozusagen "geschlechterübergreifende" häusliche Geselligkeit mindestens ebensoviel Zeit auf wie für die Vereinstätigkeit. Bei solchen Veranstaltungen im privaten Raum diskutierte man mit Freunden sowohl über aktuelle Themen, Politik, Kunst und Literatur als auch über familiäre Dinge. Daran waren Mann und Frau gleichsam beteiligt und traten als Paar auf. Den rein männlichen Logen, Vereinen und Lesekabinetten, von denen Frauen zunächst ausgeschlossen waren, standen weibliche Gegenveranstaltungen wie der Wohltätigkeitsverein oder "Kränzchen" gegenüber.
Im dritten und letzten Teil widmet sich Habermas noch dem Bereich Familie und Eheleben. Hier kommt die Autorin zu dem Schluß, daß in der Praxis immer noch ökonomische Faktoren für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Bei ihrer Analyse weist sie jedoch schon auf eine deutliche Emotionalisierung der Ehe hin, so daß materielle Interessen und eine sich entwickelnde Zuneigung zum Partner nicht automatisch einen Widerspruch darstellten. Die Erziehung der Kinder nahm innerhalb der Ehe einen besonders hohen Stellenwert ein. An dem Erziehungsprozeß beteiligten sich beide Elternteile, wenn auch die Aufgabengebiete unter den Ehepartnern, den Geschlechterrollen gemäß, aufgeteilt wurden.
Rebekka Habermas hat sich in ihrer Studie im Besonderen mit drei Bereichen auseinandergesetzt, auf die nun kurz eingegangen wurde. So eine Auswahl ist durchaus notwendig und auch zulässig. Ganz besonders dann, wenn man sich, so wie Rebekka Habermas es tut, bis in den "hintersten Winkel" des Quellenmaterials vorwagt. Darüber hinaus darf man allerdings nicht unberücksichtigt lassen, daß durch die Ausblendung gewisser Lebensbereiche, wie z.B. Politik oder Religion, manche Strukturen oder Verhaltensweisen nicht zutage treten, nicht sichtbar werden können.
Rebekka Habermas gründet ihre Studie auf einen sehr umfassenden Quellenstand, der eine dichte mikrohistorische Beschreibung der untersuchten Familien ermöglicht. Viele ihrer Erkenntnisse gewinnt Habermas durch den Vergleich der beiden Generationen. Der Generationenbegriff bezieht sich zunächst ganz konkret auf die untersuchten Familien und versteht in diesem Zusammenhang die Abfolge der Eltern und Kinder, doch wird er zugleich auch immer wieder allgemein verwendet und meint dann einen ganzen Gesellschaftsprozeß. Das hat zur Folge, daß teilweise sehr weitreichende, verallgemeinernde Aussagen von diesem, konkret die Familien Merkel und Roth betreffenden Material, abgeleitet werden. Dadurch wird die Frage, was nun generell verallgemeinerbar ist und welche Besonderheiten sich auf die untersuchten Familien beziehen, nicht geklärt.
Grundsätzlich ist noch einmal zu betonen, daß die detaillierte mikrohistorische Beschreibung dem Leser/ der Leserin sehr gute Einblicke in das Leben der behandelten Personen ermöglicht. Aufgrund des umfangreichen Quellenbestandes ist das Werk sehr anschaulich und lebendig gestaltet und daher auch für ein nicht wissenschaftliches Publikum interessant. Auch wenn die zeitspezifischen Lebensformen, Arbeitsweisen und Grenzen der Geschlechterrollen nicht zu übersehen sind, vermittelt die Autorin dennoch ein sehr modern anmutendes Bild der Geschlechterverhältnisse. Die dargestellten Personen wirken überaus sympathisch und harmonisch. Äußerst positiv zu bewerten ist, daß Habermas ihrem eigenen Anspruch, Geschlecht als relationale Kategorie zu verstehen, die sich in einem stetigen Prozeß der Veränderung befindet, treu bleibt. Es gelingt ihr tatsächlich, stets beide Geschlechter im Blickfeld zu haben und somit ein sehr ausgewogenes Bild zu präsentieren. Rebekka Habermas räumt mit klischeehaften Vorstellungen auf und zeigt die bürgerliche Gesellschaft wesentlich vielfältiger und nuancierter als es bisher der Fall gewesen ist. In ihrem Werk wird die häufig beschworene "männliche Exklusivität" des Bürgertums aufgebrochen und der Lebewelt der bürgerlichen Frauen gegenübergestellt.
In den letzten Jahren wurde von verschiedenen Seiten, sei es Frauenforschung oder historischer Sozialwissenschaft, versucht mit klischeehaften Vorstellungen aufzuräumen. Rebekka Habermas leistet mit dieser mikrohistorischen Studie einen wichtigen Beitrag.

Literatur:

Habermas, Rebekka: Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750- 1850), in: Bürgertum; Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte14, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen , 2000