ZUSAMMENFASSUNGEN ZU DEN THEORIETEXTEN


Connell, 1999.

Da das Werk "Der gemachte Mann" von Connell" insgesamt 300 Seiten stark ist, und der Autor innerhalb von zehn Kapiteln auf die verschiedensten Aspekte der Männlichkeit(en) eingeht, soll an dieser Stelle - mit Konzentration auf den geschichtlichen Aspekt - nur das Wesentlichste herausgefiltert werden. Das Kapitel "Die Geschichte der Männlichkeit" wurde im Rahmen dieser Homepage schon behandelt und findet hier keine Erwähnung mehr.

Ähnlich wie bei der Zusammenfassung der Einleitung bei Wunder soll hier auch ein teilweiser Vergleich der Inhalte bzw. Erkenntnisse mit der Frühen Neuzeit bzw. mit Johannes Kepler durchgeführt werden.

 

Erster Teil: Wissen im Widerstreit

  1. Die Wissenschaft von der Männlichkeit
  2. Die Körper von Männern
  3. Die soziale Organisation von Männlichkeit

 

Zweiter Teil: Vier Untersuchungen der Männlichkeitsdynamik

  1. Lebe wild und gefährlich (Live Fast and Die Young)
  2. Eine ganz(e) neue Welt
  3. Ein sehr normaler Schwuler
  4. Männer von Vernunft

 

Dritter Teil: Geschichte und Politik

  1. Die Geschichte der Männlichkeit
  2. Männlichkeitspolitik
  3. Praxis und Utopie

 

Nach einer Darstellung der verschiedenen Wissenschaftsgebiete, die sich mit "Männlichkeit" beschäftigten und noch beschäftigen (Psychoanalyse, S. 26-39; Das Rollenmodell der Sozialwissenschaft, S. 39-46, etc.) [Bezüglich Rollenmodell vgl. die Rezension zu Böhnisch], wendet sich Connell den neuen Sozialwissenschaften zu: "Elemente einer neuen Herangehensweise an Männlichkeit haben sich in verschiedenen Sozialwissenschaften herausgebildet, (...) Das wichtigste Element ist der geschichtliche und ethnographische Nachweis von der Vielfältigkeit und Veränderbarkeit von Männlichkeit." (S. 47).

In weiterer Folge beschäftigt er sich unter anderem mit der Bedeutung des Kolonialismus für Männlichkeit und der Bedeutung von Sport als Nachweis für Männlichkeit. Connell erkennt eine Konstante, die trotz aller Veränderungen gegeben ist: "Was trotz aller kulturellen Wandlungen mehr oder weniger konstant bleibt, ist die Anatomie und Physiologie des männlichen Körpers." Mit einer Konzentration auf diese Aspekte würde man zwar logische Schwierigkeiten lösen, allerdings auch eine wertlose Wissenschaft betreiben, da die soziale Welt nicht über eine biologische Demarkation zu begreifen sei (S. 63). Wissen über Männlichkeit würde dagegen entstehen, "(...) wenn man versucht, das Geschlechterverhältnis zu verstehen." Und weiter: "Männlichkeiten sind durch das Geschlechterverhältnis strukturierte Konfigurationen von Praxis. Sie sind von Grund auf historisch; (...)" (S. 64).

 

Im zweiten Kapitel "Die Körper von Männern" kritisiert Connell die Theorie von der unterschiedlichen Gehirnstruktur und die von der hormonell bedingten Männlichkeit bei Geschlechtern, die zu journalistischen Selbstverständlichkeiten geworden wären. (S. 67) und wiederholt seinen Vorwurf an den Sport: "In der Massenkultur wurde Männlichkeit immer mehr hauptsächlich über den Sport definiert." (S. 74). Über die Soziologie sagt er, dass dieser der Körper verloren gegangen wäre, der Körper aber Teilnehmer am sozialen Geschehen sei (S. 79 f.).

 

Zu Beginn des dritten Abschnitts trifft Connell eine aus historischer Sicht interessante Feststellung: "Ein solches Konzept [das Konzept ,Männlichkeit'] setzt individuelle Unterschiede und persönliche Handlungsfähigkeit (agency) voraus. In diesem Sinne beruht es auf dem Konzept der Individualität, das sich im Europa der frühen Moderne entwickelt hat, im Zuge der zunehmenden Kolonialisierung und kapitalistischer Wirtschaftsbeziehungen (siehe auch das achte Kapitel)." (S. 87 f.). Unser Konzept von Männlichkeit sei außerdem - so Connell - erst ein paar Jahrhunderte alt.

Als einen Bereich des sozialen Geschlechts bezeichnet Connell auch Institutionen wie Staat, Schule und Arbeitswelt. Der Staat sei dabei eine typische männliche Institution (S. 93) [vgl. dazu die Ausführungen von Schmale zu politischen Körpermetaphern].

Das Konzept der "Hegemonie" ist stark vereinfacht so definiert [Connell gibt auch eine ausführlichere Definition]: "Hegemonie bezieht sich auf kulturelle Dominanz in der Gesellschaft insgesamt." (S. 99). Die Führungsebenen von Wirtschaft, Militär und Politik würden sich dabei weniger durch direkte Gewalt auszeichnen, sondern durch ihren erfolgreich erhobenen Anspruch auf Autorität (S. 98). Connell unterscheidet zwei Formen von Gewalt:

  1. Viele Mitglieder der privilegierten Gruppe benutzen Gewalt, um ihre Dominanz zu sichern: Einschüchterung von Frauen in jedweder Form (angefangen vom Nachpfeifen auf der Straße bis hin zu Ermordung durch den patriarchalen "Eigentümer" einer Frau).
  2. Gewalt in der Geschlechterpolitik unter Männern (Kriege, Terrorisierung, Gruppenkonflikte).

 

Im zweiten Teil seines Werkes konzentriert sich Connell auf Lebensgeschichten von Männern und trifft folgende bemerkenswerte Feststellung: "(...) Lebensgeschichten verweisen paradoxerweise auch auf soziale Strukturen, soziale Bewegungen und Institutionen. (...) Es geht (...) um Geschichte." (S. 111).

 

Das vierte Kapitel untersucht die Lebensgeschichten von Männern mit besonderer Aufmerksamkeit auf deren Männlichkeit. Es ist dies genau das, was im Rahmen des Seminars, das dieser Internetseite zugrunde liegt, betrieben werden sollte, allerdings für die Frühe Neuzeit und nicht - wie bei Connell - für die Gegenwart, weswegen an dieser Stelle nicht genauer auf das Kapitel eingegangen werden soll. Ein allgemein gehaltenes Zitat Connells, das auch für die Frühe Neuzeit zutreffen könnte, sei hier gewissermaßen als Zusammenfassung des Kapitels erwähnt: "Eine aktive Auseinandersetzung mit bestimmten Situationen und der Versuch, sich eine eigene Lebensweise zu konstruieren, sind ganz entscheidend bei der Entstehung des sozialen Geschlechts." (S. 137).

 

Abschnitt fünf beschäftigt sich mit einer individualisierten Reform von Männlichkeit, d. h. positiven Alternativen zur hegemonialen Männlichkeit.

 

Im sechsten Kapitel beschäftigt sich Connell mit der in unserer Gesellschaft verankerten Zwangsheterosexualität und der Homosexualität von Männern: "Die patriarchale Kultur hat eine sehr simple Erklärung für schwule Männer: es fehlt ihnen an Männlichkeit." (S. 165). Obwohl die Geschlechterordnung von den Schwulen nicht wirklich in Frage gestellt würde, hätte allein deren Existenz Auswirkungen auf die hegemoniale Männlichkeit: "Man kann nicht homosexuell werden, ohne diese Hegemonie in irgendeiner Weise zu beschädigen. (...) Homosexuelle Männlichkeit stellt für eine Geschlechterordnung wie moderne westliche [sic!] einen Widerspruch dar." (S. 183).

 

Das Kapitel "Männer von Vernunft" beschäftigt sich mit einem geläufigen Klischee der patriarchalen Ideologien: Männer seien rational, Frauen emotional. "Hegemoniale Männlichkeit bezieht einen Teil ihrer Vorherrschaft aus dem Anspruch, die Macht der Vernunft zu verkörpern, und somit die Interessen der Gesamtgesellschaft zu vertreten. Man darf nicht den Fehler machen, hegemoniale Männlichkeit einfach mit bloßer physischer Aggression gleichzusetzen. (...) Die Männlichkeit von heranwachsenden Jungen wird auf die Bedürfnisse der späteren Berufstätigkeit zugeschnitten, und die Männlichkeit als Ganzes auf die Bedürfnisse der Wirtschaft und der dazu passenden gezähmten Kultur" (S. 185 f. sowie Winter und Robert, 1980, S. 270, zit. n. Connell, 1999, S. 186 und 281). [Die Bildung der Frühen Neuzeit dürfte ähnlich ausgerichtet gewesen sein. Kepler wurde von Anfang an eine Ausbildung zuteil, die ihn auf die Gelehrtenwelt vorbereitete. Für Frauen gab es hingegen Mädchenheime, was eine geschlechtsspezifische Ausbildung - zumindest der "höheren" Gesellschaftsschichten - vermuten lässt. (eine Bemerkung zu Mädchenheimen findet sich bei Schmidt, 1970, S. 130)] Connell bezeichnet die These von Winter/Robert allerdings als etwas zu stark generalisiert. Es gäbe durchaus auch Männer, die zwar Expertentum besitzen, aber denen es an gesellschaftlicher Autorität mangelt. Auch in diesem Kapitel (wie auch im vierten bis sechsten) führt Connell - wie schon erwähnt - Lebensbeschreibungen von Männern zur Untermauerung seiner Thesen an.

Des weiteren beschäftigt sich Connell mit Irrationalität und Sexualität: "Sexualität ist nicht grundsätzlich eine Quelle emotionaler Zerrissenheit, ein Reich des Irrationalen, aber sie kann dazu gemacht werden." (S. 196). Zusammenfassend ließe sich erkennen, dass Rationalität einen Teil der heutigen Legitimation des Patriarchats tragen würde. Diese Art der Legitimation sei aber nicht ohne Gefahren, da sich auch das Verhältnis der Geschlechter durcheinander bringen könnte: "Die Institutionalisierung von Rationalität an Arbeitsplätzen, die auf Fachwissen basieren, untergräbt Autorität und setzt hegemoniale Männlichkeit Spannungen aus. (sic!)" (S. 201).

 

Kapitel neun zeigt auf, dass Politik in fast jeder Hinsicht eine Angelegenheit von Männern ist [Was durchaus auch für die Frühe Neuzeit angenommen werden kann, da Kepler oft mit "Politikern" (z. B. seinem Landesherren) zu tun hatte, nie jedoch mit "Politikerinnen". Auch freundschaftliche oder berufliche Beziehungen pflegte er, soweit es sich feststellen lässt, mit Männern. Frauen spielten demnach in der Frühen Neuzeit in der Öffentlichkeit kaum eine Rolle.]. "Den wenigen Frauen, die es trotzdem geschafft haben, (...) gelang dies nur, weil sie die männlichen Netzwerke (nicht die weiblichen) besonders gut zu nutzen verstanden." (S. 225). Connell erwähnt hier als Beispiele Indira Gandhi und Maragaret Thatcher, für die Frühe Neuzeit wäre vermutlich die englische Königin Elisabeth I. ein gutes Beispiel. Connell beschäftigt sich dann in der Folge mit den vier Hauptformen von Männlichkeitspolitik in den Industrienationen, die da wären:

  1. Männlichkeitstherapie
  2. die Waffenlobby (als Bastion hegemonialer Männlichkeit) bzw. die Leitung patriarchaler Organisationen
  3. die Schwulenbewegung
  4. die Politik des Austritts

[Die Aufteilung in diese vier Punkte geht aus Connells Ausführungen nicht ganz klar hervor, obwohl er von "vier Hauptformen" spricht. Die Waffenlobby und die Leitung patriarchaler Organisationen könnten auch als separate Bereiche gemeint sein.]

 

Im letzten Kapitel sieht Connell als Handlungsziele eine Demontierung hegemonialer Männlichkeit (degendering), die unvermeidlich wäre. Ein Bewusstsein vom historischen Wandel des sozialen Geschlechts würde eine Politik der Veränderung erst möglich machen, scheine sie aber auch zu begrenzen. Eine Dekonstruktion des sozialen Geschlechts müsse auch auf körperlicher Ebene statt finden: "Statt einer Entkörperlichung, wie bei der Veränderung von Geschlechterrollen, bedarf es hier einer neuen Verkörperlichung (re-embodiment) für Männer, einer Suche nach neuen Arten des Empfindens, Gebrauchens und Präsentierens von männlichen Körpern." (S. 255). Die Kinderpflege sieht Connell als einen dieser Bereiche an, bei der der männliche Körper andere Fähigkeiten entwickeln müsse als im Krieg, beim Sport oder bei der Fabrikarbeit gefragt sind. Es gehe dabei nicht nur um die "Männerbewegung", dem nach Connell wichtigsten Modell politischen Handelns, sondern um eine Politik der Bündnisse. Die Bildung wäre der Hauptschauplatz für diese Bündnispolitik. Das Wissen sei vom Standpunkt der Benachteiligten aus zu organisieren und außerdem müsse "Ein sozial gerechter Lehrplan (...) auch die Erfahrungen der Privilegierten behandeln." (S. 263).