ZUSAMMENFASSUNGEN ZU DEN THEORIETEXTEN
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Wunder, 1992, I Frauenleben, Lebensgeschichten und Geschichte in der Frühen Neuzeit, S. 11-31. Anm.: Vom Autor der Webseite wird, da es sich anbot, in Bruchstücken auch ein Vergleich dieser Lebensgeschichten der Frauen mit den lebensgeschichtlichen Aufzeichnungen von Johannes Kepler versucht.
Wunder zieht folgende Schlüsse aus der erdichteten Leichenrede des Schweizer Pfarrers Kurt Marti für eine nicht namentlich genannte Frau im letzen Drittel des 20. Jahrhunderts: "Gehorchen und Verzichten sind typisch für das Frauenleben in dieser Leichenrede. (...) Allem Anschein nach endete das Leben der Frau, nachdem sie der Mann verlassen hatte." (S. 12). Sie vergleicht das mit der Leichenrede der etwa im gleichen Alter verstorbenen Leipzigerin Anna Catharina Beckerin (S. 13-16) aus dem 17. Jahrhundert, was folgende "erstaunliche Erkenntnisse" wie Wunder selbst sagt (S. 13), hervorbringt: "Im 20. Jahrhundert gibt die Familie den Handlungsraum ab, im 17. Jahrhundert das Ehepaar, der Haushalt sowie der generationenübergreifende Verband ,Geschlecht'. Mit keinem Wort ist in der Leichenpredigt für Anna Catharina von ,Familie', von Muttersein und Mutterschaft die Rede. Dies alles sind ,Erfindungen' des 18. und 19. Jahrhunderts, die uns aber heute als ,natürlich' hingestellt werden." (S. 16). Wunder erkennt vielmehr ein Netzwerk, das dem einzelnen in der frühmodernen Welt, die keine staatlich organisierte Daseinsfürsorge kannte, Sicherheit gewährte, also eine Vernetztheit von eigener Geschichte mit der Geschichte des Generationenverbandes. Anhand des Gedenkbuches von Maria Cordula Freifrau von Pranck (geb. 1634) versucht Wunder Erkenntnisse über deren Leben zu gewinnen. Die wichtigsten seien hier erwähnt: Maria Cordula durchquerte als Offiziersfrau halb Europa, bis auf eines wurden alle Kinder "unterwegs" geboren. An anderer Stelle hält Wunder fest: "(...) die Berichte über Wallfahrten und Reisen, über das Wegheiraten der Töchter und die Ausbildung der Söhne an entfernten Orten dokumentieren die Beweglichkeit der Menschen in der vorindustriellen Zeit." (S. 22) [Auch bei Johannes Kepler ist im übrigen zu beobachten, dass er stets mit seiner Familie zu seinen Schaffensorten (Linz, Prag, Sagan, etc.) weiterreiste]. "Als Person tritt Maria Cordula in ihrer Darstellungsweise kaum hervor." (S. 20) [Wenn man wieder den Vergleich mit Kepler ziehen will, so ist auch hier auffallend, dass bis auf seine Selbstcharakteristik und die Jahresnotizen seine (Privat-)Person größtenteils im Hintergrund bleibt. Über seine Ehefrauen und seine Kinder schreibt er selber merklich wenig. Seine Werke und seine wissenschaftliche Tätigkeit haben eine ungleich höhere Bedeutung.] In den Schilderungen des Sterbens ihrer Kinder und im Mitleiden am Leid von Kindern und Ehemann würde man, so Wunder, Maria Cordula am nächsten kommen. Zum Unterschied zur Freifrau von Pranck würden für Maria Elisabeth Stampferin nur die Mitglieder ihrer engsten Familie eine Rolle spielen. Ihrem Gedenkbüchl vertraut sie an, "(...) dass sie außer von ihrem ,liebsten Ehewirt' wenig Gutes im Leben erfahren habe: (...)" (S. 22). Ein auffälliger Unterschied in der Behandlung ihrer Kinder lässt sich feststellen. Sie verhinderte die Liebesheirat einer ihrer Töchter, weil der Auserwählte sie nach Wien mitgenommen hätte, was den Eltern zu weit war. Den Söhnen wurde hingegen großer Bewegungsraum zugestanden, um sich in der Ferne auszubilden. Ein geschlechtspezifischer Unterschied lässt sich auch bei den schriftlichen Aufzeichnungen der Frauen erkennen: "Auch in der ganz traditionellen Darstellung der Freiin von Pranck kommt mehr über ihren Lebensweg zur Sprache, als es in entsprechenden Darstellungen ihrer Ehemänner geschehen wäre." (S. 24). Enge Beziehungen zwischen Eltern und Kindern dürften hingegen keineswegs frauenspezifisch sein. "Spezifisch scheinen jedoch die Beziehungen zwischen Mutter und Töchtern zu sein: Maria Elisabeth Stampferin schreibt viel mehr über sie als über ihre Söhne und greift auch mehr in ihr Leben ein, (...) Selbstverständlich thematisiert eine Frau eher das Geburtsrisiko als ihr Ehemann, ebenso wie ein Mann in seinen autobiographischen Aufzeichnungen mehr den Beruf und die daran geknüpften Risiken erinnert." (S. 25 f.) [In der Tat wird Keplers Leben vor allem durch seinen Beruf bestimmt: Zunächst widmete er der Schul-, dann der Studienzeit und zuletzt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit den Großteil seiner Aufmerksamkeit und auch seiner schriftlichen Aufzeichnungen.] Eine interessante Feststellung macht Wunder noch in bezug auf die offizielle Motivation, die Frauen als Rechtfertigung für ihr Schreiben angeben mussten: "Für Frauen, die keine Berufskarriere wie ihre Ehemänner und Väter aufzuweisen hatten, bestand die einzige Rechtfertigung für ihr Schreiben im Interesse des ,Geschlechts' oder im Interesse des Seelenheils." (S. 30).
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