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Zitieren sie diesen Text bitte folgendermaßen:

Hufnagl, Gert:

Gesundheit und Männlichkeit am Beispiel Wien. In: Webportal für die Geschichte der Männlichkeiten des Instituts für Geschichte der Universität Wien,

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennergeschichte/koerper/gesundheit_01.htm


 

Gesundheit und Männlichkeiten am Beispiel Wien


Die Themen Gesundheit und vor allem auch die Gesundheitsvorsorge erlebten in den letzten Jahren einen regelrechten Boom. Die Gesundheitsbotschaften, egal ob aus öffentlicher Hand oder von gewinnorientierten Unternehmen, erreichen uns jeden Tag und sind in den Medien allgegenwärtig. Das öffentliche Gesundheitssystem hat erkannt, dass sich durch ein stärkeres Gesundheitsbewusstsein, Prävention und Veränderungen im Gesundheitsverhalten der Bevölkerung hohe Kosten einsparen lassen. Die Stadt Wien veröffentlicht als Grundlage dazu regelmäßig Gesundheitsberichte, die über den Gesundheitszustand, aber auch das Gesundheitsverhalten der Bevölkerung Aufschluss geben. Unter anderem erschien 1999 der Wiener Männergesundheitsbericht, der die geschlechtsspezifischen Unterschiede in diesem Bereich deutlich macht und hier als Grundlage dient. In der Folge sollen einige Aspekte dieses Berichtes herausgegriffen werden, um einen Blick auf männliche Verhaltensweisen und Besonderheiten im Zusammenhang mit Gesundheit zu werfen. Ist Gesundheit bzw. das Acht geben auf die eigene Gesundheit ein männliches Attribut? Was sind in aller Kürze die wesentlichen Unterschiede im Gesundheitsverhalten von Männern und Frauen? Und wie weit können Vergleiche mit dem Männlichkeits-Kategorien von Böhnisch und Winter gezogen werden? Dies sind die Kernfragen, die dieser Artikel beleuchten möchte.

Kurz zusammengefasst weisen nach dem Wiener Männergesundheitsbericht Männer ein risikoreicheres Verhalten auf, das auf ihrem Lebensstil und ihrem Rollenverhalten basiert. Sie haben eine schlechtere Wahrnehmung von Krankheit und berichten von Symptomen erst, wenn diese mit ihrem männlichen Selbstbild vereinbar sind. Das kann auch als Erklärung dazu dienen, dass Arztbesuche später erfolgen, als es bei Frauen der Fall ist. Auch hier ist ein Zusammenhang mit männlichem Rollenverhalten erkennbar. Buben lernen schon sehr bald Schmerzen nicht zu zeigen, sondern damit fertig zu werden, und Männer betrachten sich oft als unverwundbar. Das könnte auch die geringere Anzahl an Vorsorgeuntersuchungen im Vergleich zur weiblichen Bevölkerung erklären. Laut Gesundheitsbericht herrscht bei den Männern mitunter Angst, bei einer derartigen Untersuchung Erkrankungen zu erkennen.

Weiters stellt der Männergesundheitsbericht fest, dass die Zusammenhänge der Männergesundheit mit sozioökonomischen Faktoren besonders stark sind. Als Risiken für einen schlechten Gesundheitszustand und eine erhöhte Mortalität gelten also auch ein geringer Ausbildungsstand, geringeres Einkommen und ein Arbeitsplatz mit niedrigem Qualifikationsprofil.

Betrachtet man als Vergleich das soziologische Modell nach Böhnisch und Winter, so werden sofort einige Parallelen erkennbar. Von den acht Kategorien, die einen Kerntypus von Männlichkeit definieren sollen, fallen vier auf, die in Bezug mit Gesundheit gesetzt werden können bzw. mit dem Gesundheitsverhalten von Männern:

· Gewalt (auch gegen sich selbst)
· Köperferne (Nichtwahrnehmen des eigenen Körpers)
· Stummheit (fehlender reflexiver Selbstbezug; nicht über sich selbst reden)
· Alleinsein (Zwang zu Autonomie; mit allem fertig werden)

In der Folge wird versucht diese Punkte mit einigen Fakten des Wiener Männergesundheitsberichtes in Beziehung zu setzen.

Böhnisch und Winters sprechen von Gewalt gegen sich selbst, als ein Kennzeichen von Männlichkeit. Das zuvor angeführte erhöhte Risikoverhalten geht in diese Richtung. Die bestehenden Mortalitätsunterschiede zwischen Männern und Frauen werden vor allem auf die Unterschiede im Lebensstil zurückgeführt. Der erhöhte Alkoholkonsum, das Rauchen und u.a. das Risikoverhalten im Straßenverkehr sind für diese Differenzen verantwortlich. Der Tabakkonsum ist überhaupt einer der primären Faktoren für die Übersterblichkeit der Männer. Ein weiterer wesentlicher Grund für den vorzeitigen Tod bei Männern ist der Alkoholkonsum. Der Raubbau der Männer an der eigenen Gesundheit hat also eine Vielzahl an Facetten. Auch der Drogenkonsum wird von den Männer dominiert, denn doppelt so viele Männer wie Frauen konsumieren Drogen. Dieses Gesundheitsverhalten wirkt sich natürlich aus, wobei die Gewalt gegen sich selbst auch dadurch deutlich werden kann, dass Beschwerden und Krankheiten oft negiert bzw. längere Zeit ertragen werden, bevor professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird.
Scheinbar entspricht es also einer männlichen Eigenschaft, sich einerseits unverwundbar zu fühlen, andererseits Warnzeichen zu übersehen oder schlichtweg zu akzeptieren.

Andererseits bedarf es, um diverse Warnsignale zu erkennen und auch ernst zu nehmen, der intensiven Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper. Böhnisch und Winter vermuten bei Männern eine sogenannte ‚Köperferne’, ein Nichtwahrnehmen des eigenen Körpers. Auch der Männergesundheitsbericht bescheinigt den Männern eine schlechtere Wahrnehmung von Krankheit als dies bei Frauen der Fall ist. Diese Nichtwahrnehmung des eigenen Körpers lässt sich gedanklich mit einigen Faktoren verbinden, wenn auch nur hypothetisch. In Wien tritt beispielsweise Übergewicht bei der männlichen Bevölkerung doppelt so häufig auf wie bei Frauen. Überhaupt achten nur 16% der österreichischen Männer darauf nicht zuzunehmen. Vielleicht ist das eigene Aussehen, die Körperfülle den Männern nicht wichtig genug, um in diese Richtung etwas zu unternehmen.

Der fahrlässige Umgang mit Suchtmitteln wie Nikotin und Alkohol lässt ebenfalls darauf schließen, dass Männer die Auswirkungen, und seien es nur Kopfschmerzen von zu vielen Zigaretten oder ein kräftiger Kater am nächsten Morgen, weniger stark wahrnehmen oder aber auch nicht als Warnsignal bewerten. Männer leiden aber auch stärker unter Stress als Frauen. Diese Symptome werden oft negiert oder schlichtweg nicht erkannt und es wird nicht mit Stressbewältigungsmethoden reagiert. Anstatt mit Entspannung oder Stressbewältigungsmethoden reagieren Männer bei Überbelastung oft mit vermehrtem Konsum von Alkohol, Zigaretten oder mit Überernährung,

Ist eine ausreichende Wahrnehmung des eigenen Köpers in Bezug auf Krankheit vorhanden und Symptome werden als solche erkannt, zieht das jedoch Konsequenzen und weitere Handlungsschritte nach sich. Zum einen müssen die Beschwerden artikuliert werden und zum anderen ist oft professionelle Hilfe in Form von Beratungen oder Behandlungen notwenig. Beides Dinge, die mit Männlichkeit scheinbar schwer vereinbar sind. Männer können laut Böhnisch und Winter über alles reden, außer über sich selbst. Diese ‚Stummheit’ drückt sich auch in den Zahlen des Gesundheitswesens aus. Das Gesundheitssystem wird von Männern weniger in Anspruch genommen, sie gehen beispielsweise seltener zu Vorsorgeuntersuchungen. Das ist natürlich nicht nur darauf zurückzuführen, dass Männer nicht über Krankheit und Beschwerden sprechen wollen, aber dieser Faktor könnte durchaus eine Rolle spielen. Von Symptomen wird erst dann offen berichtet, wenn sie mit dem männlichen Selbstbild vereinbar sind. Dieser Eindruck verstärkt sich auch dadurch, dass es für Männer mehr Tabuthemen, wie z.B. Inkontinenz gibt, als für Frauen. Weiters ist eine Selbstreflexion des eigenen Verhaltens, z.B. in Bezug auf Bewegungsmangel, schlechte Ernährung sowie Alkohol- und Nikotinkonsum notwendig wenn nach Ursachen gesucht werden muss, und das ist der ‚Männlichkeit’ eventuell nicht unbedingt angenehm.

Der zweite zuvor erwähnte Handlungsschritt ist das in Anspruch nehmen von Unterstützung und professioneller Hilfe. Männer versuchen jedoch oft mit allem alleine fertig zu werden. Der Kreis schließt sich mit dem kleinen Jungen, der keine Schmerzen zeigen darf oder mit der vermeintlichen Unverwundbarkeit. Zeichen von Schwäche - hier natürlich auch in Bezug auf Gesundheit betrachtet - sind nicht mit männlichen Rollenbildern vereinbar. Die männliche Rolle ist geprägt durch körperliche und psychische Stärke sowie der Verantwortung für die finanzielle Sicherheit. Krankheit passt hier nicht ins Bild und würde den Mann schwach machen. Das drückt sich auch dadurch aus, dass Männer später einen Arzt aufsuchen als Frauen, also erst dann, wenn das ‚alleine damit fertig werden’ nicht mehr geht. Damit wird dann auch ein Teil der Kontrolle aus der Hand gegeben. Die männliche Rolle ist außerdem aktivitätsorientiert, was durchaus positiv ist, da es die Lebensqualität steigert. Krankheit jedoch wirkt oft aktivitätshemmend, die männliche Eigenständigkeit kann darunter leiden. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum Männer Krankheiten länger negieren.

Das männliche Rollenbild der körperlichen Stärke manifestiert sich auch im Ernährungsbewusstein. Wie schon erwähnt gibt es mehr übergewichtige Männer als Frauen. Allerdings liegt bei den Männern auch das Wunschgewicht höher. Sie assoziieren ein höheres Körpergewicht mit einem höheren Anteil an Muskelmasse, und finden das attraktiv. Stärke und Kraft gelten also noch immer als männliche Attribute, was sich bereits ab dem Kindesalter im Wunsch nach mehr Muskeln ausdrückt. Dies ist jedoch keine eindeutige Strömung, da der Trend zum Schlanksein interessanterweise ebenfalls im Vormarsch ist. Damit entsteht ein erhöhter Druck, da Schlankheit mit Dynamik, Jugendlichkeit und Leistungsfähigkeit assoziiert wird.

Betrachtet man all diese Faktoren, so könnte vermutet werden, dass sich Männer aufgrund ihrer männlichen Verhaltensweisen und Rollenbilder selbst krank machen. Das ist wahrscheinlich eine übertriebene Darstellung. Mitverantwortung für einen schlechten Gesundheitszustand ist aber sicherlich gegeben. Man kann allerdings nicht behaupten, dass dies ausschließlich auf den männlichen Teil der Bevölkerung zutrifft.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Kategorien von Böhnisch und Winter im Wiener Männergesundheitsbericht durchaus wiederzufinden sind oder aber die Daten und Fakten des Berichtes diese Kategorien untermauern. Männlichkeit drückt sich hier in einem Kreislauf aus, der nicht als gesundheitsfördernd gelten kann. Die Grundlage dazu stellt die höhere Gewaltbereitschaft gegen sich selbst dar, die sich in einem risikoreicheren und ungesünderen Verhalten äußert. Die Auswirkungen dieses Verhaltens bedürfen oftmals Maßnahmen, die scheinbar nicht im Einklang mit dem männlichen Rollenbild stehen. Männer nehmen ihre Beschwerden weniger ernst oder erst später wahr und sind nicht so schnell bereit darüber zu sprechen. Professionelle Hilfe bedeutet einen Kontrollverlust und widerspricht dem Wunsch, mit Dingen alleine fertig zu werden.

Um Erfolge bei der Förderung der Männergesundheit zu verzeichnen, muss also nicht nur am Gesundheitssystem gearbeitet werden. Es gilt auch die männlichen Verhaltensweisen zu bedenken. Und es muss das männliche Gesundheitsbewusstsein gefördert werden, denn nur dadurch kann es langfristig auch zu den gewünschten Veränderungen im Gesundheitsverhalten kommen. Im Wiener Männergesundheitsbericht werden als besondere Erschwernisse in der Männergesundheitsförderung, die mangelnde Teilnahme an Vorsorgeaktivitäten, die Defizite im Gesundheitsbewusstsein der Männer, die Einstellung zum Thema Gesundheit, das Risikoverhalten und das männliche Rollenbild in der Gesellschaft gesehen. Gesundheit scheint zwar durchaus männlich zu sein, denn das drückt sich auch in dem Streben nach Kraft, Jugendlichkeit und Vitalität aus. Sich mit der eigenen Gesundheit auseinander zusetzen entspricht allerdings weniger den männlichen Idealen.

Literatur:


Böhnisch, Lothar/Winter, Reinhard, Männliche Sozialisation. Bewältigungsprobleme männlicher Geschlechtsidentität im Lebenslauf, Weinheim 1993

Wiener Männergesundheitsbericht 1999: Magistratsabteilung für Angelegenheiten der Landessanitätsdirektion, Dezernat II, Gesundheitsplanung; Wien 1999