WEBPORTAL: MÄNNLICHKEITEN
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Zitieren sie diesen Text bitte folgendermaßen:

Schleischitz, Harald:

Reinhold Messner und Männlichkeit. In: Webportal für die Geschichte der Männlichkeiten des Instituts für Geschichte der Universität Wien,

http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/maennergeschichte/biographien/messner_01.htm


 

Reinhold Messner und Männlichkeit

 

Schon vor Jahren tauchte in der Zeitung "Die Zeit" ein Kommentar mit dem Titel Helden auf, der von dem Bergsteiger, Abenteurer und Buchautor Reinhold Messner handelt. Dabei springt vor allem der Beginn eines Satzes ins Auge: "Er ist ein ganzer Mann, ein kluger Mann, ein schöner Mann."
Hier beginnt meine Untersuchung zum Thema Geschichte der Männlichkeit. Warum wird gerade ein Mensch wie Reinhold Messner, der seine Familie wochenlang alleine lässt und sich auf Abenteuer, die allesamt tödlich enden könnten, einlässt, zum Helden und "ganzen Mann" hochstilisiert?
Ich versuche daher aus seinem Leben Leistungen und Erlebnisse zu filtern, die von ihm selbst oder von anderen als männlich angesehen werden.
Dazu stütze ich mich auf das Buch "13 Spiegel meiner Seele" von Reinhold Messner, in welchem er autobiographische Geschichten niedergeschrieben hat. Diese behandeln unterschiedlichste Situationen und sind daher, meiner Ansicht nach, gut geeignet, einen Einblick in die Männlichkeit Messners zu verschaffen, zumal er selbst beschreibt: "Indem ich mein Tun beschreibe, offenbare ich meine Seele."
Da sich Messner als Mann versteht, gehe ich zu Beginn dieser Arbeit davon aus, dass er sein Handeln von der Vergangenheit bis in die Gegenwart ebenfalls als mehr oder weniger männliches Handeln einstuft. Weiters nehme ich an, dass er diese 13 Geschichten bewusst ausgewählt hat, um ein Bild von sich selbst für andere zu erzeugen, mit dem er sich identifizieren kann und will.

Er beschreibt sich dabei vorwiegend als aktiven und vielseitigen Menschen, der viele Ziele hat und diese Schritt für Schritt in Angriff nimmt.
Knapp die Hälfte seiner Erzählungen handeln von den Grenzgängen Messners in die Berge, durch Wüsten aus Sand oder aus Schnee. Daneben gibt es Geschichten vom Jagen, von seinem Einsatz für den Umweltschutz und von seiner Tätigkeit als Burgherr und Bergbauer. In einem Kapitel berichtet er auch über das Leben mit seiner Familie sowie über seine Vorträge vor Publikum. Ich möchte jeden dieser Bereiche - sofern mir dies möglich ist - auf den Aspekt der Männlichkeit untersuchen und erlaube mir dazu Stellen selbst zu interpretieren.

Beginnen möchte ich mit der Kindheit Messners, auch wenn die Aussagen darüber nur spärlich ausfallen. Er berichtet davon in einem Alpeneinschnitt, ganz unten im Tal, aufgewachsen zu sein, aus dessen Enge er stets zu entfliehen suchte. Beim Besteigen seines ersten Dreitausenders mit fünf Jahren habe er von seinem Vater viel Lob bekommen. Dieser Gedanke an Flucht erscheint in mehreren Geschichten Messners in leicht veränderter Form immer wieder, sei es das Verlassen der Familie bei einer Bergtour oder der häufige Wechsel der Wohnstätten. Auch hat ihn vielleicht dieses erwähnte Lob beeinflusst. Er beschreibt, dass er sich immer mehr auf das Klettern konzentrierte, da er darin mehr Geschick als auf jedem anderen Gebiet aufgewiesen hätte.
Dieses Streben nach Anerkennung zieht sich durch alle seine Geschichten und ist meiner Ansicht nach auch wichtig für sein Männlichkeitsbild.
Daneben findet man die einzigen Verweise auf seine Jugend in einer Geschichte über die Jagd nach Blauschafen, wo er erzählt, wie ihm sein Großvater und sein Vater das Anschleichen an wilde Tiere gelernt hätten. Auffälligerweise erwähnt er seine Mutter mit keinem Wort.
Über seine Jugend und sein Studium erfährt man nur, dass er eine große Abneigung gegen Großstädte empfand, da er von seinem Studentenheim aus keine Berge sehen konnte.
Ich möchte mich nun dem Leben des Grenzgängers Reinhold Messner zuwenden. Darin finden sich viele Passagen, die Rückschlüsse auf sein Verständnis von Männlichkeit erlauben. Die Geschichten darüber sind am ausführlichsten geschildert und nehmen so anscheinend eine besondere Stellung in seinem Leben ein. Das verwundert weniger, wenn man bedenkt, dass er wohl ohne diese Grenzgänge weder das Ansehen, noch die finanziellen Mittel hätte, um sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten.
Messner beschreibt sich dabei mehrmals in brenzligen Situationen. Er hängt kraftlos in einer Felsnische, überschlägt sich mit seinem Schlitten in Grönland oder sitzt mit wenig Wasserreserven in einem Sandsturm mitten in der Wüste fest. Mich interessiert für diese Arbeit nun nicht so sehr wieso er in diese Lagen geraten ist, sondern vielmehr, wie er sich selbst in diesen Situationen beschreibt.

Seine Geschichten beginnen meist mit der Vorbereitung auf große Expeditionen. Er erzählt von Alpträumen, in denen er beim Klettern abstürzt und sich als hilflos begreift. Messner erwähnt aber immer wieder, dass er stets versuchte, das Risiko und so seine Ängste zu unterdrücken. Trotzdem waren ihm die Gefahren der Bergtouren stets bewusst, da er einmal schreibt dass er sich in den Nächten vor dem Aufbruch stärker als sonst nach Frauen und Sex gesehnt habe.
Bei seinen Expeditionen beschreibt sich Reinhold Messner generell als Herr der Lage. Unter Lebensgefahr handelte er nach eigenen Aussagen immer instinktiv und verließ sich auf seine Gefährten und seine Ausrüstung sowie auf seine eigenen Fähigkeiten. Auch beschreibt er, wie ihm in aussichtslosen Situationen ungeahnte Kräfte zuwuchsen, die ihn überleben ließen. Überraschend ist dabei, wie selbstsicher er sich in diesen Momenten größter Gefahr beschreibt. Er schreibt wohl von Respekt vor einem Berg, aber Todesangst empfindet er frühestens nachdem er sich bereits gerettet hat.
Messner gefällt sich in der Position des Grenzgängers und Helden, er spricht von der Spannung als Droge, die ihn dazu getrieben habe, extreme Situationen zu suchen und sich ihnen zu stellen. Er will besser sein als andere, verwendet weniger Haken und schwärmt für Erstbesteigungen. Messner begreift sich dabei als Künstler, wenn er eine neue Route erklettern kann und sieht dies als kreative Leistung an.
Dennoch begreift er sich als sterblichen Menschen, der zwei Brüder im Hochgebirge verloren hat. An einigen Stellen gibt er an, nur durch Glück überlebt zu haben.
Neben dem Glauben an das Glück setzt er sich auch mit Aberglauben auseinander, indem er in einer Geschichte beschreibt, wie ein kranker Freund von ihm nach dem Umhängen eines Xi-Steines wieder gesund geworden sei. Dabei erfährt man seinen Respekt vor allen Religionen, obwohl er sich nicht als strenggläubig darstellt.
Wenn sich Reinhold Messner auf der Jagd beschreibt, sieht er sich wie am Berg als instinktiv handelnden Menschen. Er tut das nicht aus Hunger oder Zeitvertreib, sondern spricht von einer Reihe von Instinkten, denen er folgt, obwohl er dafür kritisiert wird. In der von Messner beschriebenen Jagderzählung hat er zusammen mit einem Freund, den er als den erfahreneren Jäger der beiden bezeichnet, nur ein altes Gewehr mit 6 Patronen zur Verfügung, um ein Blauschaf zu erlegen. Während sein Freund die Beute verfehlt, erlegt er ein Tier und lässt sich damit in Großwildjägerpose ablichten. Wieder beschreibt er sich als Menschen, der sich durch nichts von seinem Ziel abbringen lässt.
Bei einer anderen Geschichte findet Reinhold Messner Spuren eines Tigers und beschreibt seine Angst angegriffen zu werden. Dennoch betont er, er sei nicht kopflos durch den Wald gelaufen, sondern instinktiv vorsichtig wie ein Jäger.
Bei der Beschreibung des Berges Kailash meint Messner: " Der Kailash repräsentierte das Männliche, hoch aufragend, abweisend, aber greifbar." Daneben beschreibt er einen See: "Der Manasarovar verkörperte das Weibliche, tief, unergründlich, fließend."
Dieser Definition von Männlichkeit versucht Reinhold Messner durch sein Leben selbst gerecht zu werden. Sie fällt einem immer wieder ein, wenn Messner darüber schreibt wie er Berge besteigt, wie er sich als einsamen Helden betrachtet und wie er sich in Vorträgen mit Zuhörern beschäftigt.
Eine Geschichte handelt von der Sammelleidenschaft Reinhold Messners für Kunstwerke, die den tibetischen Sagenhelden Gesar darstellen, mit der er seine Burg ausgefüllt hat. Mich interessiert weniger diese Sammelleidenschaft an sich als mehr die Faszination Messners für Gesar und seiner Geschichte. Der Legende nach soll dieser Kämpfer alleine ganze Heere bezwungen und die schönsten Frauen der Welt erobert haben. Die Schwärmerei Messners für diesen sehr martialischen Helden lässt meiner Meinung nach Rückschlüsse über sein Männlichkeitsideal zu, nicht zuletzt deswegen, weil er seinen Sohn ebenfalls Gesar getauft hat.
Als besonders Bemerkenswert erachte ich Reinhold Messners jahrelange Bestrebungen, eine Burg zu erwerben, was ihm schließlich auch geglückt ist. Er bezeichnet diese oft als Fluchtburg vor Medien und Fans, für sich selbst wählt er nicht selten die Bezeichnung Burgherr. Seinen Traum von der Burg hatte er lange geplant und auf die Verträglichkeit mit einer Familie abgestimmt. Recht eigentümlich mutet der in diesem Zusammenhang getätigte Satz an: "Ein Leben ohne Frau konnte ich mir weniger vorstellen als ein Leben ohne Burg."

Dieser Wunsch Messners auf Sicherheit gegen äußere Einflüsse und auf ein Leben in Abgeschiedenheit könnte wohl nicht besser ausgedrückt werden.
Daneben hat er sich auch einen anderen Traum verwirklicht: er ist in Juval Bergbauer geworden. Dabei schildert er seine Mühen und Investitionen die dafür vonnöten waren, besteht aber darauf, nichts zu bereuen. Als Bergbauer wie als Burgherr ist er derjenige, der plant und seinen Kopf durchsetzen will. Er beschreibt seine Durchsetzungskraft gegen Architekten bei der Renovierung seiner Burg Juval ebenso wie seinen Kampf gegen die Kritiker seines Bauernhofes.
Er verweist darauf, wie ihn das Machen reizt, dagegen lehne er Fertiges ab.
Dennoch ist sein Vorsatz erstaunlich, alles was er sich selbst mühevoll aufgebaut hat wieder zu verkaufen, um sich nach neuen Herausforderungen umzusehen. Reinhold Messner meint dazu, er müsse einfach immer wieder seine alte Heimat aufgeben um sich eine neue zu schaffen und sucht Gründe dafür bei seinem Vater und Urgroßvater, die auch beide viel auf Reisen gewesen seien. Dagegen verwundert seine tiefe Verwurzelung und Zuneigung zu Südtirol, die er immer wieder zum Ausdruck bringt. Er versucht diesen Umstand damit zu erklären, dass er als Halbnomade immer einen fixen Wohnsitz brauche, an den er nach seinen Ausflügen zurückkehren könne.
Von seinem Leben als Familienmenschen berichtet Reinhold Messner nur in einer Geschichte. Er beschreibt seine innere Unruhe, die ihn dazu treibt, seine Familie zu verlassen und auf halsbrecherische Expeditionen zu gehen. Diese werden von seiner Frau nach eigenen Aussagen deshalb geduldet, da er sonst nicht der von ihnen geliebte Mensch bleiben würde.
Trotz dieser Unruhe beschreibt er aber, dass er, seit er Vater von drei Kindern ist, in immer kürzeren Abständen wieder nach Hause zurückkehren möchte.

Obwohl Messner sich immer wieder als erfolgreichen Menschen darstellt, kommt auch eine Geschichte vor, in der sein Plan nicht aufgeht. Als er 1993 die Wüste Takla Makan im Alleingang zu durchqueren versuchte, stieß er auf seine Grenzen. Er beschreibt wie ein Sandsturm und Wassermangel ihn zur Aufgabe dieser Unternehmung gezwungen hatten, doch selbst hier stellt er sich nicht als Verlierer dar. Vielmehr sieht er sich als jemanden, der seine Grenzen rechtzeitig erkennt und nicht versucht in ausweglosen Situationen fälschlich den Helden spielen zu wollen. Er ist auch in dieser Situation Herr der Lage, ohne übermütig sein Leben riskieren zu wollen.
Diese Überzeugung von den eigenen Fähigkeiten kommt auch in den Berichten über seine Präsentationen vor Publikum zum Ausdruck. Wenn er berichtet, wie er die Zuhörer in seinen Bann zieht, tut er das nicht ohne Stolz. Wenn er davon berichtet, wie er auf die Reaktionen des Publikums wartet und damit spielt, sieht er sich wieder als leitenden Führer, der die Menge an seinen Erfahrungen gezielt teilhaben lässt.
Abschließend denke ich, dass vor allem Messners Streben nach Autarkie und seine zahllosen Höchstleistungen im Bergsteigen sowie seine Kämpfe für seine Ziele dazu beigetragen haben, ihn als männlich zu definieren.